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Zitronenduft und alte Lichter 6 Min. Lesezeit
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Unterwegs

Zitronenduft und alte Lichter

Die Nacht hatte sich wie ein samtenes Tuch über die kleine Küstenstadt gelegt. Lina öffnete das schwere Holzfenster ihres Zimmers und ließ die warme Abendluft herein. Sie schmeckte das Salz auf ihren Lippen, eine süße Einladung, die Straßen zu erkunden.

Von Jannis

Photo by Pavel Neznanov / Unsplash

Die Nacht hatte sich wie ein samtenes Tuch über die kleine Küstenstadt gelegt. Lina öffnete das schwere Holzfenster ihres Zimmers und ließ die warme Abendluft herein. Sie schmeckte das Salz auf ihren Lippen, eine süße Einladung, die Straßen zu erkunden, während der Rest der Welt zu schlummern begann.

Mit leisen Schritten verließ sie die kleine Pension. Das alte Gebäude knackte vertraut, als hätte es ihr ein wohlwollendes Gute Nacht zugeflüstert. Die schmale Holztür fiel sanft ins Schloss, ein gedämpftes Geräusch, das in der nächtlichen Stille wie ein Flüstern wirkte.

Lina trat auf das Kopfsteinpflaster hinaus. Es hatte den ganzen Tag die Hitze der südlichen Sonne aufgesogen und gab sie nun als sanfte Wärme wieder ab, die durch die dünnen Sohlen ihrer Sandalen drang. Jeder Stein unter ihren Füßen erzählte seine eigene Geschichte – abgerundet von tausenden Schritten, die vor ihr gekommen waren. Die Pflastersteine schimmerten im schwachen Licht der alten Straßenlaternen, manche golden, andere in einem tiefen, satten Bernsteinton.

Die Gasse vor ihr schlängelte sich zwischen hohen Häuserfassaden hindurch. Ockerfarben und terrakottarot ragten sie auf beiden Seiten empor, ihre Fensterläden geschlossen wie schlafende Augenlider. Nur hier und da schimmerte noch ein warmes Licht durch die Ritzen, zeichnete schmale, goldene Linien auf das Pflaster. An manchen Fenstern wiegten sich Wäscheleinen sanft in der lauen Nachtbrise, die Schatten der aufgehängten Tücher tanzten wie Geister über die Mauern.

Lina atmete tief ein. Die Luft war erfüllt von Geschichten. Da war der salzige Hauch des Meeres, der selbst hier, in den verwinkelten Gassen der Altstadt, allgegenwärtig schien. Dann mischte sich etwas anderes darunter – der süß-säuerliche Duft von Zitronenbäumen, die in kleinen Terrakottatöpfen vor den Eingängen der Häuser standen. Ihre glänzenden Blätter reflektierten das gedämpfte Licht der Laternen, schenkten der Nacht winzige Lichtpunkte, die wie Glühwürmchen wirkten.

Mit jedem Schritt spürte Lina, wie die Hektik des Tages von ihr abfiel. Das leise Knirschen des Kopfsteinpflasters unter ihren Füßen wurde zu einer beruhigenden Melodie, einem Wiegenlied der Stadt selbst. Sie ließ ihre Fingerspitzen über die rauen Hauswände gleiten, spürte den körnigen, warmen Putz, der hier und da kleine Risse aufwies – Falten, die von der Zeit gezeichnet worden waren, genau wie die Gesichter der alten Fischer, die tagsüber auf den kleinen Plätzen saßen.

Eine Katze huschte vor ihr über den Weg, ihr orangefarbenes Fell kurz aufblitzend im Laternenlicht, bevor sie in einem schmalen Durchgang zwischen zwei Häusern verschwand. Lina lächelte. Sie war nicht allein auf ihrer nächtlichen Wanderung.

Neugierig folgte sie der Katze in den engen Durchgang. So schmal war er, dass sie die Schultern etwas einziehen musste, um hindurchzupassen. Die Hauswände zu beiden Seiten standen sich so nah gegenüber, dass sie mit ausgestreckten Armen beide hätte berühren können. Über ihr spannte sich ein Netz aus Wäscheleinen, die von einem Fenster zum anderen reichten. Im sanften Nachtwind wiegten sich weiße Laken, farbige Hemden und kleine Kinderkleider wie Geister in der Dunkelheit. Das spärliche Mondlicht, das durch die schmale Gasse fiel, wurde von ihnen gefiltert und warf tanzende Schatten auf den Boden und die Wände.

Bei jedem Schritt spürte Lina eine unerwartete Feuchtigkeit unter ihren Sandalen. Der Boden unter ihr glänzte leicht, nass vom Kondenswasser der Klimaanlagen, die leise summend an manchen Fassaden hingen. Kleine Tropfen sammelten sich an den Geräten und fielen in gleichmäßigen Abständen herab, bildeten kleine Pfützen zwischen den Pflastersteinen. Das Geräusch der fallenden Tropfen vermischte sich mit dem fernen Meeresrauschen zu einer beruhigenden Melodie.

Die kühle Feuchte unter ihren Füßen bildete einen angenehmen Kontrast zur warmen Nachtluft. Der Geruch in dieser engen Passage war anders – eine Mischung aus frisch gewaschener Wäsche, dem metallischen Duft der Klimaanlagen und einem Hauch von etwas Würzigem, das aus einem geöffneten Küchenfenster drang.

Die orangefarbene Katze wartete am Ende des Durchgangs auf sie, als wollte sie sichergehen, dass Lina ihr folgte, bevor sie mit elegantem Schwung um die nächste Ecke verschwand. Die Gasse öffnete sich zu einem kleinen Platz. In der Mitte stand ein alter Brunnen, dessen Wasser in einem sanften, gleichmäßigen Rhythmus in das Steinbecken plätscherte. Das Geräusch des fallenden Wassers verschmolz mit dem entfernten Rauschen des Meeres zu einer zeitlosen Symphonie. Lina setzte sich auf den Rand des Brunnens und ließ ihre Hand in das kühle Wasser gleiten. Die Temperatur bildete einen angenehmen Kontrast zur Wärme der Nacht. Kleine Wellen breiteten sich von ihren Fingern aus, tanzten über die Oberfläche und ließen das Spiegelbild des Mondes zittern, der hoch über ihr am Himmel stand.

Der Platz wurde von alten Olivenbäumen gesäumt, deren knorrige Stämme Geschichten von Jahrhunderten erzählten. Ihre silbrigen Blätter raschelten leise im Nachtwind, ein sanftes Flüstern, das Lina noch tiefer in den friedvollen Zauber dieser Nacht zog. Zwischen den Bäumen entdeckte sie kleine, gelbe Lichter – Glühwürmchen, die wie winzige, lebendige Sterne durch die Dunkelheit schwebten.

Von irgendwo trug der Wind die gedämpften Klänge einer Gitarre zu ihr herüber. Jemand spielte eine melancholische Melodie, langsam und voller Sehnsucht. Die Töne schienen aus einem offenen Fenster zu kommen, vielleicht von einem Balkon mit blühenden Bougainvillea, deren violette Blüten im Dunkeln fast schwarz wirkten.

Lina schloss für einen Moment die Augen und ließ die Sinneseindrücke auf sich wirken – das sanfte Plätschern des Brunnens, das ferne Rauschen des Meeres, die leisen Gitarrenklänge, der Duft von Zitronen und Salz. Wie ein unsichtbares Netz webten diese Eindrücke einen Kokon der Ruhe um sie herum.

Als sie die Augen wieder öffnete, fiel ihr Blick auf einen schmalen Durchgang auf der anderen Seite des Platzes. Eine steile Treppengasse führte dort zwischen zwei hohen Häusern hindurch. Lina konnte nicht sehen, wohin sie führte, aber ein schwacher Schimmer am oberen Ende verriet, dass sie vielleicht zu einem Aussichtspunkt führen könnte.

Mit gemächlichen Schritten überquerte sie den Platz. Das Mondlicht zeichnete silberne Muster auf das unebene Pflaster. Bei jedem Schritt spürte sie die angenehme Müdigkeit in ihren Beinen, die nicht von Erschöpfung kam, sondern von der tiefen Entspannung, die dieser Ort in ihr auslöste.

Die Treppengasse war schmal, kaum breit genug für zwei Menschen nebeneinander. Zu beiden Seiten ragten die Hauswände auf, beinahe zum Greifen nah. Hier und da gab es kleine Nischen mit verwitterten Heiligenfiguren, vor denen winzige Kerzen flackerten. Ihre tanzenden Flammen warfen bewegte Schatten auf die alten Steine und ließen die Gesichter der Figuren lebendig erscheinen.

Mit jedem Schritt nach oben wurde das Rauschen des Meeres deutlicher. Die salzige Brise streichelte Linas Gesicht, kühlte ihre Wangen, die von der nächtlichen Wärme leicht gerötet waren. Ihre Finger glitten über das glatt polierte Geländer, das unzählige Hände vor ihr berührt hatten. Es fühlte sich seidig an, fast wie lebendig unter ihrer Berührung.

Die Stufen unter ihren Füßen waren ausgetreten, in der Mitte leicht eingesunken von den zahllosen Schritten, die im Laufe der Jahrhunderte darüber gegangen waren. Jede einzelne trug die unsichtbaren Spuren von Freude und Leid, von eiligen Schritten und gemächlichen Spaziergängen, von Menschen, deren Namen längst vergessen waren.

Als Lina die letzte Stufe erklomm, stockte ihr der Atem. Vor ihr öffnete sich eine kleine Terrasse, die einen atemberaubenden Blick über die schlafende Stadt und das dahinter liegende Meer bot. Das Wasser erstreckte sich wie ein endloser, dunkler Samt bis zum Horizont, wo es mit dem sternenübersäten Himmel zu verschmelzen schien. Hier und da glitt ein Fischerboot durch die Nacht, seine Lichter wie kleine, schwimmende Sterne auf der schwarzen Oberfläche.

Der Mond zeichnete einen silbernen Pfad auf das Wasser, eine schimmernde Straße, die bis zum Horizont reichte. Lina lehnte sich an die steinerne Balustrade, deren Oberfläche noch immer die Wärme des Tages gespeichert hatte. Die Welt unter ihr war in Blau- und Silbertöne getaucht, eine verzauberte Landschaft aus Licht und Schatten.

Das Rauschen der Wellen drang nun deutlich an ihr Ohr, ein stetiges, rhythmisches Geräusch, das uralt schien und doch zeitlos. Es erinnerte an ein tiefes Atmen, als würde die Erde selbst im Schlaf seufzen. Vereinzelt drangen die Rufe von Nachtvögeln durch die Stille, kurze, melodische Laute, die sich in der Dunkelheit verloren.

Lina ließ ihren Blick über die Dächer der Stadt schweifen. Terrakottafarbene Ziegel, silbrig im Mondlicht, erstreckten sich wie erstarrte Wellen vor ihr. Dazwischen ragten vereinzelt Kirchtürme und alte Wachtürme auf, stumme Wächter über den Schlaf der Stadt. Aus manchen Schornsteinen stieg noch dünner Rauch auf, der sich in der Nachtluft kräuselte, bevor er sich auflöste.

Die Zeit schien hier oben stillzustehen. Es gab kein Gestern und kein Morgen, nur diesen vollkommenen Augenblick der Ruhe. Lina spürte, wie ihre Augenlider schwer wurden. Die sanfte Brise, das rhythmische Rauschen des Meeres, der Duft von Zitronen und Salz – alles verschmolz zu einem Wiegenlied für ihre Sinne.

Sie setzte sich auf eine steinerne Bank, die in die Mauer eingelassen war. Der Stein hatte die Wärme des Tages bewahrt und fühlte sich angenehm an durch den dünnen Stoff ihres Kleides. Über ihr wölbte sich der Nachthimmel wie eine unendliche Kuppel, übersät mit unzähligen Sternen. Einige schienen so nah, als könnte sie die Hand ausstrecken und sie berühren.

Lina lehnte den Kopf zurück an die warme Steinmauer und schloss die Augen. Das Rauschen des Meeres wurde zu einer sanften Melodie, die sie langsam in einen Zustand zwischen Wach und Träumen gleiten ließ. Die Welt um sie herum verblasste allmählich, während sich in ihrem Inneren neue Bilder formten – Träume, gespeist von den Eindrücken dieser verzauberten Nacht.

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