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Schwimmen am Abend 4 Min. Lesezeit
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Alltag

Schwimmen am Abend

Eine Einschlafgeschichte: Die großen Wanduhren zeigen kurz nach halb neun. Durch die beschlagenen Fensterscheiben des Hallenbads dringt nur noch schwaches Dämmerlicht, das sich in sanften, welligen Reflexionen auf der Wasseroberfläche bricht.

Von Jannis

Photo by bartosz wojciechowski / Unsplash

Die großen Wanduhren zeigen kurz nach halb neun. Durch die beschlagenen Fensterscheiben des Hallenbads dringt nur noch schwaches Dämmerlicht, das sich in sanften, welligen Reflexionen auf der Wasseroberfläche bricht. Die Luft ist warm und feucht, trägt diesen besonderen Chlorgeruch in sich, der gleichzeitig scharf und beruhigend wirkt – ein Duft, der Erinnerungen weckt und zugleich eine eigenartige Geborgenheit vermittelt.

Du stehst am Beckenrand und spürst, wie die Müdigkeit des Tages noch in deinen Schultern sitzt. Deine Füße berühren die nassen, rutschfesten Fliesen, kühl und gleichzeitig angenehm unter deinen Sohlen. Die Geräuschkulisse ist gedämpft, fast meditativ: irgendwo tropft Wasser mit einem gleichmäßigen, hypnotischen Rhythmus. Plop. Plop. Plop. In der Ferne hörst du die leisen Stimmen der letzten Badegäste, die sich verabschieden, ihre Worte verhallen zwischen den gekachelten Wänden wie ein sanftes Echo.

Das Schwimmbad gehört jetzt fast nur dir. Vielleicht sind noch zwei, drei Menschen da, aber sie bewegen sich in ihren eigenen Bahnen, in ihrer eigenen stillen Welt. Du atmest tief ein – diese warme, feuchte Luft füllt deine Lungen vollständig, dehnt sie aus. Beim Ausatmen spürst du, wie sich deine Schultern einen weiteren Zentimeter senken, wie die Anspannung nachgibt.

Du tauchst einen Fuß ins Wasser. Es ist perfekt temperiert, weder zu warm noch zu kühl, sondern genau richtig – als würde es deine Körpertemperatur umarmen. Die Berührung breitet sich wie eine sanfte Welle der Entspannung über deinen Knöchel aus, kriecht dein Bein hinauf. Du lässt dich langsam, ganz langsam ins Wasser gleiten. Der Übergang vom festen Boden zur tragenden Flüssigkeit geschieht so behutsam, dass du kaum merkst, wann genau das Wasser dich vollständig umschließt.

Und dann dieses Gefühl: Das Wasser trägt dich. Du musst nichts tun. Dein Körper wird leicht, fast schwerelos. Die Schwerkraft verliert ihre Macht über deine müden Glieder. Das Wasser schmiegt sich an deine Haut, umhüllt jeden Zentimeter von dir mit einer weichen, flüssigen Decke. Du spürst den sanften Druck um deine Schultern, um deine Hüfte, um deine Beine – überall gleichzeitig und doch so zart, dass es sich anfühlt wie eine endlose Umarmung.

Du beginnst zu schwimmen. Nicht schnell, nicht mit Ehrgeiz oder Ziel. Einfach nur schwimmen. Deine Arme gleiten durch das Wasser, teilen es mit einer geschmeidigen, langsamen Bewegung. Du spürst, wie das Wasser durch deine gespreizten Finger strömt, kühl und seidig, wie es an deinen Handflächen vorbeizieht und winzige Strudel hinterlässt, die sich sofort wieder auflösen.

Dein Atem findet einen Rhythmus. Einatmen, wenn dein Gesicht zur Seite dreht – die warme Luft strömt in deine Lungen. Ausatmen ins Wasser – kleine Bläschen steigen vor deinen Augen auf, tanzen zum Licht hinauf, zerplatzen lautlos an der Oberfläche. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Der Rhythmus wird zu einem Teil von dir, automatisch, mühelos.

Die Kacheln am Beckenboden ziehen unter dir vorbei, Bahn für Bahn. Das dunkle Blau der Linien verschmilzt mit dem helleren Türkis der Fliesen, ein beruhigendes Muster, das sich endlos wiederholt. Deine Gedanken beginnen zu wandern, werden weich und formlos wie das Wasser um dich herum. Die Sorgen des Tages lösen sich auf, Stück für Stück, werden von der sanften Bewegung fortgetragen.

Du schwimmst weiter. Deine Muskeln arbeiten in einem gleichmäßigen, angenehmen Rhythmus. Es ist kein anstrengendes Training mehr – es ist Meditation in Bewegung. Mit jedem Armzug spürst du, wie sich deine Schultern dehnen, wie die Verspannungen nachgeben. Mit jedem Beinschlag fühlt sich das Wasser wie ein Widerstand an, der dich gleichzeitig massiert, der die Müdigkeit aus deinen Waden zieht.

Das Plätschern ist jetzt dein eigenes. Leise, rhythmische Geräusche begleiten dich: das Gleiten deiner Arme durch die Oberfläche, das sanfte Schlagen deiner Beine, das Blubbern der Luftblasen. Diese Klänge mischen sich mit dem fernen Tropfen, mit dem kaum hörbaren Summen der Belüftungsanlage, mit der Stille selbst.

Bahn für Bahn. Du zählst nicht mehr. Die Zeit verliert ihre Bedeutung. Es gibt nur noch diesen Moment, dieses sanfte Vor und Zurück, diese endlose Gegenwart im warmen Wasser. Dein Körper bewegt sich wie von selbst, kennt den Weg, braucht keine Anweisungen mehr von deinem Verstand. Du bist einfach.

Als du schließlich am Beckenrand ankommst und innehältst, spürst du das warme Pulsieren in deinen Muskeln. Eine angenehme Erschöpfung hat sich über deinen Körper gelegt – nicht die zermürbende Müdigkeit eines anstrengenden Tages, sondern die zufriedene, wohltuende Schwere nach körperlicher Bewegung. Deine Fingerspitzen sind leicht schrumpelig, die Haut weich vom langen Kontakt mit dem Wasser.

Du ziehst dich aus dem Becken, langsam, genießt jeden Moment dieses Übergangs. Das Wasser rinnt von deinem Körper, hinterlässt kühle Spuren auf deiner Haut. Die Luft fühlt sich plötzlich kühler an, prickelnd fast, und du spürst jede einzelne Pore, aus der das Wasser perlt.

Deine nackten Füße tappen über die nassen Fliesen. Jeder Schritt erzeugt einen leisen, schmatzenden Laut. Du wickelst dir das Handtuch um die Schultern, spürst die weiche Baumwolle auf deiner feuchten Haut – ein beruhigender Kontrast zur Glätte des Wassers.

Die Umkleidekabinen sind ruhig, fast menschenleer. Nur irgendwo schließt jemand einen Spind, das metallische Klicken hallt kurz nach und verstummt dann wieder. Du gehst zu deinem Schrank, drehst den Schlüssel im Schloss. Das vertraute Knacken des sich öffnenden Schlosses, dann das leise Quietschen der Schranktür – alltägliche Geräusche, die in dieser Stille fast zeremoniell wirken.

Unter der Dusche lässt du das warme Wasser über deinen Körper laufen. Es ist eine andere Wärme als die des Schwimmbeckens – direkter, umhüllender. Das Wasser prasselt auf deine Schultern, läuft deinen Rücken hinunter, nimmt die letzten Chlorreste mit. Du schließt die Augen und stehst einfach nur da, lässt das Wasser seine Arbeit tun. Der Dampf steigt auf, umgibt dich in einer weichen Wolke, die nach Duschgel und Shampoo duftet.

Deine Finger massieren Shampoo in deine Kopfhaut, kreisen langsam, in entspannten Bewegungen. Die Berührung ist angenehm, fast hypnotisch. Du spürst, wie sich auch die letzten Anspannungen in deinem Nacken lösen, wie die Wärme bis in deine Schädeldecke vordringt.

Nach dem Abtrocknen – das raue Handtuch reibt sanft über deine Haut, weckt ein angenehmes Kribbeln – ziehst du dir frische, trockene Kleidung an. Die Stoffe fühlen sich weich an, noch leicht warm vom Liegen im Schrank. Jedes Kleidungsstück, das du anziehst, fühlt sich an wie eine weitere Schicht Geborgenheit.

Als du das Schwimmbad verlässt, trifft dich die Abendluft. Sie ist trocken, frisch, deutlich kühler als die feuchte Wärme des Hallenbads. Du atmest tief ein – diese klare Luft füllt deine Lungen mit einer anderen Qualität, wach und kühl. Deine feuchten Haare kühlen sich leicht ab, ein angenehmer Kontrast zur Wärme deines Körpers.

Der Himmel über dir ist dunkelblau, fast schwarz, mit vereinzelten Sternen, die gerade zu erscheinen beginnen. Die Straßenlaternen werfen sanfte, orangefarbene Lichtkreise auf den Boden. Deine Schritte sind langsam, schlendernd. Dein Körper fühlt sich angenehm schwer an, müde auf die beste Art und Weise.

In deinen Muskeln pulsiert noch die Erinnerung an das Wasser, an die sanften Bewegungen, an das Getragensein. Deine Haut ist warm und sauber, duftet nach Duschgel. In deinem Kopf ist eine angenehme Leere, eine zufriedene Stille.

Du gehst nach Hause, und mit jedem Schritt wächst die Vorfreude auf dein Bett, auf das weiche Kissen, auf die Decke, die sich um dich legen wird. Deine Augenlider werden schwerer. Das sanfte Plätschern des Wassers klingt noch leise in deiner Erinnerung nach.

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