Der Segeltörn in die goldene Nacht
Photo by Johannes Plenio / Unsplash
Die Nachmittagssonne hing tief über der kleinen Marina, ihre Strahlen verwandelten das Wasser in ein Mosaik aus Gold und Türkis. Ahmed kniete neben seinem Boot, einer knapp vier Meter langen Jolle aus verwittertem Teakholz, deren Planken die Geschichten unzähliger Fahrten in sich trugen. Seine Hände glitten über das warme Holz, prüften die Spannung der Wanten, fühlten die leichten Vibrationen, die das Boot bereits im Hafen zum Leben erweckten.
Das Segel lag noch gefaltet auf dem Bootsboden, ein cremefarbenes Dreieck aus festem Canvas, dessen Nähte von jahrelanger Beanspruchung durch Wind und Wetter gezeichnet waren. Ahmed hob es behutsam an, spürte das vertraute Gewicht des Tuches in seinen Händen. Jede Bewegung folgte einem uralten Ritual – das Befestigen der Schoten, das Durchfädeln der Fallen, das sanfte Straffen der Leinen. Seine Finger kannten jeden Knoten, jeden Handgriff, bewegten sich mit der Sicherheit einer Melodie, die man seit Kindertagen kannte.
Der Hafen atmete die Ruhe des späten Nachmittags. Möwen hockten auf den Pollern, ihre Köpfe unter die Flügel gesteckt, während sich das Wasser sacht gegen die Kaimauer wiegte. Ahmed löste die Festmacherleinen, eine nach der anderen, bis nur noch die Vorleine das Boot mit dem Land verband. Er stieg hinein, spürte das vertraute Schwanken unter seinen Füßen, die Art, wie das Boot auf sein Gewicht reagierte, sich neu ausbalancierte.
Mit einem letzten, prüfenden Blick über die Ausrüstung löste er die Vorleine und stieß sich sanft vom Steg ab. Das Boot glitt lautlos ins offene Wasser, getragen von einer kaum merklichen Strömung, die es sachte vom Ufer wegführte. Ahmed setzte sich an das Ruder, fühlte das glatte Holz in seiner Handfläche, warm von der Sonne und poliert von unzähligen Berührungen.
Das Großsegel flatterte leise im Wind, ein gedämpftes Rascheln, das den Beginn jeder Fahrt ankündigte. Ahmed zog an der Großschot, spürte den Widerstand des Windes, der sich im Segel fing und es zu einer perfekten Kurve formte. Das Boot neigte sich leicht, fand seinen Rhythmus, begann durch das Wasser zu gleiten mit jener stillen Anmut, die nur Segelboote besaßen.
Der Wind kam von Nordwest, stetig und warm, trug den Duft von Salzwasser und Seetang mit sich. Ahmed richtete den Bug nach Süden aus, wo die Sonne bereits ihren Abstieg begonnen hatte. Das Wasser teilte sich vor dem Steven in zwei silbrige Linien, die sich hinter dem Boot wieder schlossen, als wäre es nie dagewesen. Die Marina wurde kleiner, die Konturen der Küste verschmolzen zu einem sanften, grünen Band am Horizont.
Hier draußen veränderte sich die Qualität der Stille. Sie war nicht leer, sondern erfüllt von den leisen Geräuschen des Wassers gegen den Rumpf, dem rhythmischen Knarren der Beschläge, dem fernen Ruf einer Möwe. Ahmed ließ die Hand am Ruder ruhen, spürte durch das Holz die Kommunikation zwischen Boot und Wasser, die subtilen Signale, die ihm verrieten, wann er korrigieren musste, wann er dem Boot freien Lauf lassen konnte.
Die Sonne sank unmerklich tiefer, verwandelte das Licht von strahlendem Weiß zu warmem Gelb. Die Farben des Wassers wandelten sich mit ihr – von Türkis zu Smaragdgrün, durchsetzt mit goldenen Reflexen, die wie flüssiges Metall über die sanften Wellen tanzten. Ahmed hatte den Kurs so gewählt, dass er der Sonne entgegensegelte, ihr langsam näher kam auf ihrer Reise zum westlichen Horizont.
Das Boot fand seinen eigenen Rhythmus, eine hypnotische Bewegung zwischen den leichten Wellen. Es hob und senkte sich sachte, ein Atem des Meeres, der sich auf Ahmed übertrug. Seine Schultern entspannten sich, die Anspannung des Tages löste sich Wirbel für Wirbel. Die Gedanken begannen zu fließen wie das Wasser um den Rumpf – mühelos, ohne Widerstand.
Ein Schwarm kleiner Fische durchbrach die Oberfläche, ihre silbernen Körper blitzten kurz im Sonnenlicht auf, bevor sie wieder in die Tiefe tauchten. Das Schauspiel wiederholte sich in der Ferne, kleine Explosionen des Lebens, die nur Sekunden dauerten und doch die ganze Weite des Ozeans mit Bewegung erfüllten.
Die Sonne stand nun deutlich tiefer, hatte ihre Farbe von Gold zu einem warmen Orange gewechselt. Ahmed justierte das Segel nach, folgte einer leichten Winddrehung, die das Boot sanft nach Westen lenkte. Die Küste war nur noch eine dünne Linie am Horizont, verschwimmend im Dunst des Nachmittags.
Jetzt begann die Zeit, die Ahmed am meisten liebte. Die Stunden vor Sonnenuntergang, wenn das Licht weich wurde und die Welt eine andere Qualität bekam. Die Farben vertieften sich, wurden reicher, als würde jemand die Sättigung langsam erhöhen. Das Wasser nahm Töne von tiefem Blau und warmem Grün an, durchzogen von Bändern aus flüssigem Kupfer.
Eine leichte Brise frischte auf, das Segel blähte sich praller. Das Boot beschleunigte unmerklich, seine Bewegung wurde lebendiger, spielerischer. Ahmed lächelte, spürte die Freude des Bootes an der Fahrt, die Art, wie es mit dem Wind zu tanzen schien. Das Ruder vibrierte leicht in seiner Hand, übertrug die Energie des Wassers, die Kraft der Elemente, die das kleine Gefährt trugen.
Die Sonne näherte sich dem Horizont, wurde zu einer perfekten orangeroten Kugel, die das Meer vor ihr in Brand zu setzen schien. Ahmed wendete das Boot, segelte nun parallel zum Horizont, um das Schauspiel in seiner ganzen Pracht zu erleben. Das Licht warf lange Schatten auf das Wasser, verwandelte jede kleine Welle in einen Kamm aus flüssigem Gold.
Der Wind ließ nach, wurde zu einer sanften Brise, die gerade stark genug war, um das Boot voranzutreiben. Die Bewegung wurde noch sanfter, ein Gleiten mehr als ein Segeln, als würde das Boot auf Licht dahinschweben. Ahmed ließ die Schot etwas fieren, das Segel nahm eine weichere Form an, angepasst an die sich wandelnden Bedingungen.
Die ersten Farben des Sonnenuntergangs begannen sich am Himmel zu entfalten. Zarte Rosa- und Violetttöne mischten sich mit dem Orange, schufen ein Gemälde, das sich von Minute zu Minute veränderte. Ahmed lehnte sich zurück, eine Hand noch immer am Ruder, den Blick auf das Naturschauspiel vor ihm gerichtet.
Das Boot segelte nun durch einen Ozean aus Licht. Die Reflexionen der Sonne zogen sich wie ein goldener Pfad über das Wasser, direkt auf Ahmed zu, als wäre er das Ziel dieser himmlischen Navigation. Jede kleine Welle brach das Licht in tausend Funken, ein Feuerwerk, das nur für ihn aufgeführt wurde.
Die Sonne berührte den Horizont, wurde zu einer halben Kugel, deren untere Hälfte im Meer zu verschwimmen schien. Die Farben intensivierten sich noch einmal – tiefes Orange verwandelte sich zu leuchtendem Rot, die Wolken am Himmel entzündeten sich in Rosa und Violett. Ahmed hielt den Atem an, gefangen in der Schönheit des Moments.
Das Boot bewegte sich nun kaum noch merklich vorwärts, schaukelte sanft auf den langen Dünungen, die von fernen Stürmen kündeten. Der Wind war zu einem Hauch geworden, gerade stark genug, um das Segel zu füllen und dem Boot eine träge Vorwärtsbewegung zu verleihen. Es war, als würde die Zeit selbst langsamer werden, sich an die Majestät des Sonnenuntergangs anpassen.
Die Sonne sank tiefer, wurde zu einem Viertel, zu einem schmalen Segment, das den Himmel noch immer in Brand hielt. Ahmed spürte eine tiefe Dankbarkeit in sich aufsteigen, ein Gefühl der Verbundenheit mit dieser unendlichen Weite, diesem Schauspiel der Natur, das sich jeden Tag wiederholte und doch niemals dasselbe war.
Die letzten Strahlen der Sonne verschwanden hinter dem Horizont, hinterließen einen Himmel in allen Schattierungen von Rosa, Orange und Violett. Der Abend begann sich über das Meer zu legen, brachte eine neue Art der Stille mit sich, tiefer und umfassender als die des Nachmittags.
Ahmed wendete das Boot behutsam, richtete den Bug zurück zur Küste. Die Lichter der Marina begannen in der Ferne zu leuchten, winzige Sterne, die den Weg nach Hause wiesen. Das Boot glitt durch die sich verdunkelnden Wasser, getragen von einer Brise, die nun von der Küste kam und die Wärme des Landes mit sich brachte.
Die Rückfahrt würde ruhig werden, eine Zeit der Reflexion über die Schönheit, die er erlebt hatte. Ahmed lächelte, spürte die Zufriedenheit tief in sich verwurzelt, die nur solche Momente der völligen Harmonie mit der Natur schenken konnten. Das kleine Holzboot trug ihn sicher durch die Dämmerung, während die ersten Sterne am dunkler werdenden Himmel zu erwachen begannen.
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