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Am Ende des Tages 6 Min. Lesezeit
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Natur

Am Ende des Tages

Tim spürte, wie sich seine Schritte verlangsamten, je näher er dem kleinen Badesee kam. Der Kiesweg unter seinen Füßen knirschte sanft, jedes Steinchen schien einzeln unter seinen Sohlen zu rollen. Die Luft war noch warm von der Sonne des Tages der langsam zu Ende ging.

Von Jannis

Photo by Jaunathan Gagnon / Unsplash

Tim spürte, wie sich seine Schritte verlangsamten, je näher er dem kleinen Badesee kam. Der Kiesweg unter seinen Füßen knirschte sanft, jedes Steinchen schien einzeln unter seinen Sohlen zu rollen. Die Luft war noch warm von der Sonne des Tages, aber bereits durchzogen von der ersten zarten Kühle, die der Abend mit sich brachte.

Als er die letzte Wegbiegung passierte, öffnete sich vor ihm die kleine Lichtung, in deren Mitte der See lag wie ein dunkler Spiegel. Das Wasser war so still, dass Tim zunächst glaubte, auf eine perfekte Glasfläche zu blicken. Nur ab und zu kräuselte sich die Oberfläche ganz leicht, wenn ein unsichtbarer Windhauch darüber strich. Manchmal berührte ein Insekt das Wasser – eine Libelle, die kurz mit der Spitze ihres Hinterleibs die Oberfläche antippe, oder ein Wasserläufer, der mit seinen zarten Beinen über die Spannung der Wasseroberfläche glitt. In solchen Momenten entstanden kleine, perfekte Kreise, die sich langsam und gleichmäßig ausbreiteten. Tim beobachtete fasziniert, wie diese zarten Ringe größer und größer wurden, ihre Linien dabei immer feiner, bis sie schließlich so schwach waren, dass sie mit dem bloßen Auge kaum noch zu erkennen waren. Es war, als würde das Wasser Botschaften in konzentrischen Kreisen versenden, die sich überlappten und miteinander tanzten, bevor sie sanft in der Unendlichkeit der Seeoberfläche verschwanden.

Tim ließ sich auf dem warmen Holz des kleinen Stegs nieder, die Planken noch sonnenwarm unter seinen Handflächen. Er zog die Schuhe aus und tauchte seine Füße ins Wasser. Ein Schauer durchlief ihn – das Wasser war kühler als erwartet, aber angenehm erfrischend. Er spürte, wie sich die Haut seiner Füße langsam an die Temperatur gewöhnte.

Die Sonne hing noch etwa eine Handbreit über dem Horizont, ein goldener Ball, der bereits an Intensität verlor. Ihr Licht fiel schräg durch die Baumkronen der Buchen und Eichen, die den See umrahmten. Lange Schatten streckten sich über die Wiese hinter ihm aus, und Tim konnte zusehen, wie sie sich langsam, aber stetig verlängerten. Wie dunkle Finger griffen sie nach der nächsten Baumreihe am Wiesenrand. Zuerst berührten die Schatten nur die Wurzeln der Bäume, dann krochen sie die Stämme hinauf, verschmolzen mit der natürlichen Dunkelheit der Rinde. Tim beobachtete, wie die Grenzen zwischen Licht und Schatten immer weicher wurden, wie die Bäume allmählich in ihre eigenen Schatten übergingen. Was zunächst noch klar getrennt war - hier der helle Stamm, dort der dunkle Schatten - verschwamm zu einem einzigen, sanften Übergang. Die Bäume schienen mit der Dämmerung zu verschmelzen, als würden sie Teil der hereinbrechenden Nacht werden.

Ein Grünspecht hämmerte irgendwo in der Ferne gegen einen Baumstamm, das rhythmische Klopfen durchbrach die Stille. Dazwischen hörte er das sanfte Plätschern des Wassers gegen den Steg, ein beruhigendes Geräusch, das ihn an seine Kindheit erinnerte. Die Grillen hatten noch nicht begonnen zu zirpen, aber Tim spürte, dass es nicht mehr lange dauern würde.

Das Wasser vor ihm begann seine Farbe zu verändern. Was am Nachmittag noch ein klares Blau gewesen war, wurde nun zu einem tiefen Türkis, durchzogen von goldenen Reflexen der untergehenden Sonne. Tim beobachtete, wie ein Libellenpaar über die Wasseroberfläche tanzte, ihre Flügel schimmernd wie Regenbogenfolie in der warmen Abendluft.

In den Bäumen begann das große Umziehen des Tages. Die Vögel, die tagsüber ihre Geschäfte verrichtet hatten, zogen sich in ihre Nester zurück. Tim hörte das sanfte Trillern einer Amsel, die ihr Abendlied sang. Dazwischen mischte sich das Rascheln der Blätter, als ein Eichhörnchen von Ast zu Ast sprang.

Die Luft wurde zunehmend schwerer, nicht drückend, sondern samtweich und voller Düfte. Tim atmete tief ein und erkannte den Geruch von Wasser und Schilf, vermischt mit dem süßlichen Duft der Lindenblüten von dem großen Baum hinter ihm. Eine Note von feuchter Erde stieg vom Ufer auf, wo der Boden noch vom Morgentau durchfeuchtet war.

Langsam sank die Sonne dem Horizont entgegen. Ihre Strahlen wurden länger, weicher, weniger grell. Das Licht bekam eine honiggelbe Färbung, die allem um den See herum einen warmen, goldenen Schimmer verlieh. Die Blätter der Bäume schienen von innen zu leuchten, als wären sie aus dünnem Gold geschmiedet.

Tim spürte, wie sich seine Schultern entspannten. Der Stress des Tages löste sich wie Nebel auf. Seine Atmung wurde tiefer, gleichmäßiger. Er konzentrierte sich auf das Gefühl des warmen Holzes unter sich und des kühlen Wassers um seine Füße.

Eine Ente tauchte plötzlich aus dem Schilf auf, paddelte gemächlich in Richtung der Seemitte. Ihre Bewegungen waren so ruhig, dass sie kaum Wellen verursachte. Tim beobachtete, wie sie den Kopf unter Wasser tauchte und wieder auftauchte, Wassertropfen glitzerten in ihrem Gefieder. Kurz darauf tauchte hinter ihr eine ganze Entenfamilie aus dem Schilf auf - fünf kleine, flauschige Küken, die in einer perfekten Reihe hinter ihrer Mutter her schwammen. Die Kleinen waren wie winzige graue Wollknäuel, die eifrig mit ihren winzigen Füßchen paddelten. Tim lächelte, als er sah, wie das letzte Küken in der Reihe sich besonders anstrengen musste, um mit den Geschwistern Schritt zu halten. Manchmal verlor es den Anschluss und paddelte dann hastig hinter der Familie her, bis es wieder seinen Platz in der Reihe gefunden hatte. Die Entenmutter führte ihre Brut mit ruhiger Sicherheit über das Wasser, ab und zu den Kopf wendend, um nach ihren Kleinen zu sehen.

Das Licht begann sich zu verändern. Die harten Schatten des Tages wichen weichen Übergängen. Alles wurde sanfter, verschwommener. Die Farben verloren ihre Schärfe und gingen ineinander über wie Aquarellfarben auf feuchtem Papier.

Tim hörte das erste Käuzchen rufen, noch weit entfernt. Es war ein sanfter, flötender Ton, der durch die warme Luft trug. Die Fledermäuse würden bald kommen, wusste er. Er freute sich darauf, ihren tänzerischen Flug zu beobachten.

Die Sonne berührte nun den Horizont. Ihr Anblick war nicht mehr blendend, sondern sanft und warm. Tim konnte direkt hineinschauen, ohne die Augen zusammenkneifen zu müssen. Sie war zu einer großen, orange-roten Kugel geworden, die langsam hinter den Bäumen verschwand.

Mit dem Verschwinden der Sonne änderte sich die ganze Atmosphäre. Die Luft wurde kühler, aber nicht kalt. Tim spürte, wie die Kälte langsam vom Boden aufstieg, wie ein unsichtbarer Nebel, der sich zuerst um die Grashalme legte. Er konnte förmlich beobachten, wie die Kühle von der Erde aus nach oben kroch, sich zwischen den Gräsern sammelte und dann höher stieg. Die Wiese hinter ihm begann ihre Wärme an die Nacht abzugeben, und Tim spürte, wie diese sanfte Kühle seine Knöchel umschmeichelte, dann seine Waden erreichte. Es war, als würde die Erde selbst ausatmen und dabei ihre gespeicherte Tageskühle freisetzen. Tim spürte, wie sich Gänsehaut auf seinen Armen bildete, aber es war ein angenehmes Gefühl. Er zog seine Füße aus dem Wasser und wickelte sie in sein Handtuch.

Die ersten Fledermäuse erschienen, kleine dunkle Silhouetten gegen den noch hellen Himmel. Sie flogen in weiten Bögen über das Wasser, jagten Insekten. Tim folgte ihren Flugbahnen mit den Augen, ihre Bewegungen waren so unberechenbar und doch so elegant.

Die Grillen begannen zu zirpen. Erst vereinzelt, dann immer mehr, bis schließlich ein ganzer Chor die Nacht begrüßte. Ihr Gesang war beruhigend, ein gleichmäßiges Summen, das die Stille füllte, ohne sie zu stören.

Der Himmel färbte sich nun in den schönsten Pastelltönen. Rosa und Orange mischten sich mit tiefem Violett und sanftem Blau. Tim lehnte sich zurück und betrachtete das Schauspiel über sich. Es war, als würde jemand mit einem riesigen Pinsel über das Firmament streichen.

Die Sterne begannen zu erscheinen. Zuerst nur die hellsten, dann immer mehr. Tim kannte einige Sternbilder und suchte sie am Himmel. Da war der Große Wagen, und dort die Kassiopeia. Das Vertraute beruhigte ihn zusätzlich.

Eine Eule rief aus dem Wald hinter ihm. Ihr Ruf war tief und melodisch, ein "Huu-huu-huu", das durch die Nacht hallte. Tim lächelte. Er liebte diesen Moment des Übergangs, wenn der Tag der Nacht wich und die Welt sich verwandelte.

Das Wasser vor ihm war nun fast schwarz, durchzogen von silbrigen Reflexen der ersten Sterne. Ab und zu entstanden kreisförmige Wellen, wenn ein Fisch an die Oberfläche kam. Tim konnte sie nur erahnen, nicht mehr wirklich sehen.

Die Luft war nun erfüllt von den Düften der Nacht. Der süße Geruch des Geißblatts, das irgendwo in der Nähe blühte, mischte sich mit dem erdigen Duft des Waldes. Tim atmete tief ein und spürte, wie die Ruhe der Nacht in ihn eindrang.

Eine Sternschnuppe zog über den Himmel. Tim sah sie nur für einen Moment, aber es reichte, um ein Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern. Er wünschte sich nichts Bestimmtes, die Ruhe und Schönheit dieses Moments waren Wunsch genug.

Die Nacht war nun vollständig hereingebrochen. Tim spürte, wie müde er geworden war, eine angenehme Müdigkeit, die sich in seinen Gliedern ausbreitete. Er stand langsam auf, rollte das Handtuch zusammen und schlüpfte in seine Schuhe.

Ein letzter Blick auf den See, der nun geheimnisvoll und friedlich in der Dunkelheit lag. Die Sterne spiegelten sich in seiner Oberfläche, als wäre er ein Tor zu einem anderen Universum. Tim atmete noch einmal tief die kühle Nachtluft ein und machte sich dann auf den Weg zurück.

Seine Schritte waren leise auf dem Kiesweg, und er nahm die Geräusche der Nacht bewusst wahr. Irgendwo knackte ein Ast, ein Igel raschelte im Unterholz, und in der Ferne hörte er das sanfte Rauschen des Windes in den Blättern.

Die Nacht hatte ihn aufgenommen, ihm ihre Ruhe geschenkt. Tim fühlte sich erfüllt von der Schönheit des Übergangs, den er beobachtet hatte. Mit jedem Schritt trug er die Stille des Sees in sich, bereit für einen tiefen, erholsamen Schlaf, erfüllt von den sanften Bildern und Klängen der Nacht.

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